Warum mir das Thema „Tierwohl“ in der Schafhaltung so am Herzen liegt

Als jemand, die jahrelang mit Herden gearbeitet hat, weiß ich: „Tierwohl“ ist kein Schlagwort, sondern tägliche Praxis. Für Verbraucherinnen und Verbraucher bedeutet das oft: sich auf Angaben verlassen, Produkte auswählen und hoffen, dass es den Tieren gut geht. In der Realität aber verbergen sich hinter Labels und schönen Bildern viele Details, die man kennen sollte, wenn man wirklich verantwortungsvoll einkaufen oder mit Produzenten zusammenarbeiten möchte.

Was genau verstehe ich unter «Tierwohl» bei Schafen?

Für mich umfasst Tierwohl fünf zentrale Bereiche: Gesundheitsvorsorge, artgerechte Haltung, ausreichende Ernährung, Möglichkeiten zu natürlichem Verhalten (z. B. Weidegang, Sozialkontakte) und eine respektvolle Behandlung bei Pflege, Transport und Schlachtung. Nur wenn all diese Aspekte beachtet werden, ist von echtem Tierwohl zu sprechen — nicht nur von einem guten Haltungslabel auf der Verpackung.

Konkrete Fragen, die du dem Erzeuger stellen solltest

Wenn du direkt bei Schäfer*innen, Bauernhöfen oder kleinen Manufakturen einkaufst: frag nach. Hier sind Fragen, die ich bei Besuchen oder in E-Mails immer stelle:

  • Haben die Schafe regelmäßigen Weidezugang? Wenn ja: wie viele Stunden/Tag und in welchen Jahreszeiten?
  • Wie sieht die Stall- und Unterbringungssituation im Winter aus? Gibt es trockene Liegeflächen, Platz pro Tier und Schutz vor Zugluft?
  • Wie hoch ist die Bestandsdichte (Stocking Density)? Viele Probleme entstehen bei Überbelegung.
  • Welche Maßnahmen für Gesundheit und Prävention werden angewendet? Impfen, Wurmkontrolle, regelmäßige Kontrollen durch Tierärzt*innen?
  • Wie wird mit Schur, Klauenpflege, Kastration oder eventuellem Schwanzkupieren umgegangen? Werden schmerzlindernde Maßnahmen genutzt?
  • Wie lange dauern Transportwege zu Tierärzt*innen, Schlachthöfen oder Markt? Kurze Transportwege reduzieren Stress massiv.
  • Gibt es Nachweise über Schlachtbedingungen? Wer ist der Schlachthof, wie wird betäubt?
  • Woher kommt das Futter? Ist es regional, gentechnikfrei, zertifiziert ökologisch?
  • Wie wird mit Parasitenbefall umgegangen? Chemische Entwurmung vs. Weide-Management und Rotationssysteme?
  • Sind Zuchtziele auf Robustheit und Gesundheit ausgerichtet? Oder primär auf hohe Produktion (z. B. extreme Wollerträge oder schnelle Mast)?
  • Welche Zertifikate oder Mitgliedschaften gibt es? RWS, ZQ, Bio-Siegel, lokale Initiativen – und was genau bedeuten sie?
  • Wie transparent sind Herkunft und Verarbeitung der Wolle? Gibt es Rückverfolgbarkeit bis zur Herde?

Was du an konkreten Antworten erwarten darfst

Gute Erzeuger*innen können auf diese Fragen klare, belegbare Antworten geben. Sie zeigen Dokumente (Tierarztberichte, Aufzeichnungen über Schur- und Impfzyklen), erklären ihre Weidewirtschaft und nennen Partner (z. B. regionale Schlachthöfe, Wollmanufakturen). Wenn jemand ausweichend antwortet oder sehr allgemein bleibt, ist Vorsicht geboten.

Wichtige Detailpunkte, die oft übersehen werden

  • Weidequalität: Nicht nur ob Weide vorhanden ist, sondern wie vielfältig sie ist (Blumen, Kräuter, Strukturen) — das beeinflusst Gesundheit und Tierwohl.
  • Saisonalität: Manche Betriebe weiden nur im Sommer, andere ermöglichen auch im späten Herbst und frühen Frühling Zugang. Das macht einen Unterschied.
  • Schurpraxis: Wird fachgerecht geschoren? Stress, Unterkühlung und Hautverletzungen sind vermeidbar.
  • Sozialverhalten: Sind Herdenstabilität und Gruppenstruktur berücksichtigt (keine dauernden Umgruppierungen)?
  • Aufzucht von Lämmern: Wie wird mit Mutterbindung, Zufütterung und Massenaufzucht umgegangen?

Labels, auf die ich achte — und ihre Grenzen

Labels können helfen, sind aber keine Garantie für umfassendes Tierwohl. Hier einige, die relevant sind:

  • RWS (Responsible Wool Standard): Legt Wert auf Tierwohl und Landmanagement; verlangt Nachverfolgbarkeit bis zur Herkunftsherde.
  • ZQ Merino: Fokus auf humane Tierhaltung und soziale Kriterien, v. a. bei Merinowolle.
  • Bio-Siegel/Öko-Kontrollen: Betonen oft Futterqualität und Verzicht auf chemische Zusätze, aber Tierwohlkriterien sind unterschiedlich streng.
  • GOTS: Gilt für Verarbeitung von Textilien; kombiniert ökologische und soziale Kriterien, nicht ausschließlich Tierwohl.

Wichtig ist: Nachfragen, welche Kontrollmechanismen eingesetzt werden, welche unabhängigen Audits existieren und wie oft Audits stattfinden. Manche Labels decken nur Teile der Kette ab.

Beispielhafte Fragen für einen Besuch vor Ort

Wenn du einen Hof besuchst, helfen dir diese Fragen, den Alltag zu sehen und nicht nur die Werbeseite:

  • Kann ich die Stallungen und Weiden sehen?
  • Wo werden Lämmer geboren, sind sie bei den Müttern?
  • Wie oft wird geschoren und wer schert?
  • Wie sind Futterlager organisiert? Gibt es Notfallfutter?
  • Wie dokumentiert ihr Gesundheitsmaßnahmen?

Kurzer Vergleich – Erwartung vs. gute Praxis

Erwartung Gute Praxis (Woran du es erkennst)
„Die Tiere haben Auslauf“ Regelmäßiger Weidezugang, dokumentierte Weidezeiten, vielfältige Weideflächen
„Wir achten auf Gesundheit“ Tierarztberichte, Impfpläne, geplante Entwurmung mit Monitoring
„Die Schur erfolgt fachgerecht“ Fachpersonal, ruhige Abläufe, dokumentierte Termine, sichtbare Wunden selten
„Transparente Verarbeitung“ Angaben zu Wollverarbeitung, Partnerbetrieben, Zertifikate, Rückverfolgbarkeit

Wenn du beim Lesen dieser Fragen denkst: „Das ist doch viel Aufwand“ — ja, ist es. Gute Tierhaltung ist Arbeit. Aber je mehr wir als Käuferinnen und Käufer gezielt nachfragen, desto schneller ändert sich das Angebot. Ich ermutige dich: frag nach, besuche Hofläden oder Märkte, und sei bereit, mehr für Produkte zu zahlen, die echtes Tierwohl ermöglichen. Ich unterstütze dich gern mit weiteren Fragen oder wenn du Hilfe bei der Interpretation von Antworten brauchst.