„Mulesingfrei“ steht auf vielen Etiketten. Aber was steckt wirklich dahinter — und wie kann ich als Käuferin sicher sein, dass damit echte Tierfreundlichkeit gemeint ist? Ich bekomme diese Frage oft in meinen Workshops und beim Austausch mit Schäferinnen und Schäfern. In diesem Beitrag erkläre ich, was Mulesing ist, welche praktischen Alternativen es gibt, wie Zertifikate einzuschätzen sind und gebe dir eine praktische Checkliste, damit du beim nächsten Kauf informierte Entscheidungen treffen kannst.

Was bedeutet „mulesingfrei“?

Mulesing ist ein chirurgischer Eingriff, bei dem Hautstücke im Hinterteilbereich von Lämmern entfernt werden, um Falten zu vermeiden, in denen sich die Fliegenmaden (Flystrike) einnisten können. Der Begriff „mulesingfrei“ bedeutet, dass bei den Schafen dieses Verfahren nicht angewendet wurde. Allerdings sagt das Label allein noch nichts darüber aus, wie die Tiere stattdessen geschützt wurden oder welche Haltungspraktiken insgesamt gelten.

Warum ist das Thema komplex?

Bei meinen Besuchen auf Höfen und in Gesprächen mit Produzentinnen höre ich immer wieder: Es geht nicht nur um das Verbot eines einzelnen Eingriffs, sondern um die gesamte Tierhaltung, Vorbeugung und betriebliche Praxis. Ohne passende Alternativen können Fliegenmadenbefall und damit Tierleid zunehmen. Gleichzeitig ist Mulesing aus Sicht vieler Verbraucher ein Symbol für eine Praxis, die sie ablehnen — zu Recht. Die Herausforderung liegt darin, sicherzustellen, dass das Verbot von Mulesing nicht durch schlechtere „kompensatorische“ Maßnahmen ersetzt wird.

Praktische Alternativen zu Mulesing

  • Genetische Selektion: Zucht auf weniger fannenträchtige Tiere (Shedding/less wrinkled sheep). Einige Zuchtlinien sind weniger anfällig für Flystrike.
  • Verbesserte Weide- und Managementpraktiken: Regelmäßige Kontrolle, kluge Populationsteuerung, Hygiene und Entfernung von feuchten Stellen.
  • Tail docking und Lammpflege: In manchen Betrieben werden alternative, weniger invasive Verfahren genutzt, kombiniert mit intensiver Überwachung.
  • Topische oder prophylaktische Behandlungen: Insektizide oder biologische Präparate als gezielte Schutzmaßnahme (müssen tierschutzgerecht und nachhaltig eingesetzt werden).
  • Mechanische Methoden: Entfernen kleiner Hautfalten mit chirurgischen Hilfsmitteln — diese Methoden sind jedoch umstritten und nicht automatisch tierschutzkonform.

Was Zertifikate wirklich aussagen — worauf achten?

Nicht alle Zertifikate sind gleich. Manche garantieren nur ein Verbot von Mulesing, andere verlangen nachweisbare konzeptionelle Änderungen im Tiermanagement. Hier einige Hinweise, die ich bei meiner Zertifikatsarbeit und bei Kooperationen mit Schäfer*innen immer wieder betone:

  • Transparenz der Supply Chain: Kann die Marke nachweisen, wo die Wolle herkommt? Gibt es Rückverfolgbarkeit auf Farmebene?
  • Audithäufigkeit: Werden Kontrollbesuche regelmäßig vorgenommen oder nur Stichprobenartig?
  • Konkrete Anforderungen: Fordert das Siegel nur „mulesingfrei“ oder auch Vorgaben zu Haltung, Zugang zu Weide, Tiergesundheit und Zuchtprogrammen?
  • Unabhängige Prüfstellen: Wer zertifiziert — eine unabhängige Organisation oder ein industrienaher Verein?
  • Berichte und Sanktionen: Gibt es öffentliche Berichte zur Umsetzung und klare Sanktionen bei Verstößen?

Bekannte Siegel und ihre Tücken

Einige Siegel wie Responsible Wool Standard (RWS) oder ZQ Merino haben in der Branche Aufmerksamkeit erregt. RWS beinhaltet Kriterien zur Tierhaltung und Umweltschutz, RWS-Audits finden auf Farmebene statt. ZQ betont genetische Qualität und bestimmte Managementpraktiken. Beide sind Schritte in die richtige Richtung — dennoch gilt: Lies die Kriterien, prüfe die Rückverfolgbarkeit und frage nach Farmdaten.

Meine persönliche Erfahrung aus der Praxis

Bei einem Projekt mit einer kleinen Schafherde in der Eifel begleitete ich einen Umstellungsprozess: Statt auf Mulesing zu bauen, investierte der Betrieb in strukturierte Kontrollen, Zucht auf weniger faltenanfällige Tiere und Schulungen für Mitarbeitende. Es hat Zeit und Geld gekostet, aber die Fallzahlen von Flystrike sanken deutlich. Das zeigt: Echtes Tierwohl entsteht durch langfristige Konzepte, nicht nur durch Etiketten.

Checkliste für verantwortungsbewusste Käuferinnen

Wenn du das nächste Mal Wolle kaufst und „mulesingfrei“ auf dem Etikett steht, nutze diese Checkliste:

  • Herkunft prüfen: Kann die Marke Auskunft über die Farm geben? Idealerweise: Name der Farm, Region und Betriebsgröße.
  • Zertifikat nachfragen: Welches Siegel liegt vor? Lies die Kriterien online — verlangt es nur das Verbot oder ganzheitliche Tierwohlstandards?
  • Rückverfolgbarkeit: Gibt es Batch- oder Lot-Nummern, die eine Zuordnung zur Schafherde erlauben?
  • Frage nach Alternativen: Wie schützt der Betrieb seine Tiere stattdessen vor Flystrike? Genetik, Management, Hygienemaßnahmen?
  • Auditpraxis: Wie oft und von wem wird kontrolliert? Gibt es unabhängige Prüfberichte?
  • Langfristige Verpflichtungen: Gibt die Marke an, in Zuchtprogramme und Schulungen zu investieren?
  • Transparenz vs. Marketing: Wirkt die Kommunikation sachlich oder eher emotional-marketinggetrieben?
  • Regionale Produktion unterstützen: Kleinere Betriebe mit nachweisbarer, lokaler Produktion sind oft besser nachvollziehbar.

Wie ich als Konsumentin entscheide

Für meine Einkaufsentscheidungen kombiniere ich: Ich bevorzuge Wolle von Betrieben, die offen über ihre Praxis sprechen, die Rückverfolgbarkeit bieten und in Zucht und Management investieren. Wenn möglich kaufe ich direkt bei Schäferinnen oder in Kooperationen mit kleinen Manufakturen, die ich kenne oder die durch verlässliche Siegel geprüft sind. Beispiele aus meiner Arbeit: Produkte von kleinen Merino-Projekten aus Deutschland oder Frankreich, die genetische Auswahl und Weidewirtschaft ernst nehmen, haben sich bewährt — auch wenn der Preis höher ist. Für mich ist das ein bewusster Beitrag zu einem Systemwechsel.

Fragen, die du Herstellern stellen kannst

  • Seit wann ist der Betrieb mulesingfrei, und wie wurde die Umstellung begleitet?
  • Welche alternativen Maßnahmen werden konkret angewendet, um Flystrike zu verhindern?
  • Wer prüft die Einhaltung, und wie häufig finden Kontrollen statt?
  • Gibt es Farmprofile oder Besuche, die du einsehen kannst?

Wenn du möchtest, kann ich für deinen nächsten Einkauf helfen: Schick mir das Etikett oder den Markennamen, und ich schaue mir die Zertifikate und Aussagen genauer an. Transparenzerwartung ist kein Luxus — sie ist notwendige Grundlage dafür, dass „mulesingfrei“ wirklich Tierwohl bedeutet.