Beim Einkauf von Wolle oder Wollprodukten verliere ich mich nicht in einem Dschungel aus Logos – ich frage gezielt: Was sagt dieses Siegel wirklich über Tierwohl, Umwelt und faire Arbeitsbedingungen aus? Nach Jahren in der Schafhaltung und der Zusammenarbeit mit Produzentinnen und Zertifizierern habe ich gelernt, welche Zertifikate Substanz haben und wie man sie praktisch vergleicht. In diesem Beitrag zeige ich dir, welche Labels ich ernst nehme, worauf du achten solltest und wie du schnell einschätzen kannst, welches Siegel für dein Projekt relevant ist.
Welche Prüfziele sollten Zertifikate abdecken?
Für mich sind vier Dimensionen entscheidend:
- Tierwohl – artgerechte Haltung, Schur ohne Misshandlung, Verzicht auf Mulesing etc.
- Umwelt – Vermeidung von Chemikalien, reduzierte Emissionen, Wasserschutz und Biodiversität
- Soziale Kriterien – faire Löhne, sichere Arbeitsbedingungen und Einhaltung von Arbeitsrechten
- Rückverfolgbarkeit / Transparenz – bis zu welchem Punkt in der Lieferkette das Siegel gilt (Bauernhof, Spinnerei, Färberei?)
Ein gutes Zertifikat deckt idealerweise mehrere dieser Punkte ab. Manche sind stark auf Tierwohl fokussiert, andere auf chemische Verarbeitung oder soziale Aspekte. Je nachdem, was dir wichtig ist, wählst du unterschiedliche Labels.
Die wichtigsten Zertifikate und was sie wirklich bedeuten
Hier stelle ich die Labels vor, die mir in der Praxis am häufigsten begegnen und die meiner Erfahrung nach substanziell sind:
- Responsible Wool Standard (RWS) – Schwerpunkt auf Tierwohl und Rückverfolgbarkeit. RWS kontrolliert Schafhaltung, Tiermanagement und dokumentiert die Lieferkette bis zum Wollpool/Verarbeiter. Gut, wenn dir artgerechte Haltung wichtig ist.
- ZQ Merino – ähnlich wie RWS mit starkem Fokus auf Merino, ergänzt um Sozialkriterien und ein Innovationsprogramm. Häufig bei nachhaltigen Merino-Produkten zu sehen.
- GOTS (Global Organic Textile Standard) – deckt die gesamte textile Lieferkette ab: biologische Fasern, chemische Verarbeitung, Sozialstandards. Ideal, wenn du sowohl Bio-Faser-Herkunft als auch schadstoffarme Verarbeitung willst. GOTS gilt aber nur für (teilweise) biologische Baumwolle/Wolle mit bestimmten Mindestanteilen organischer Faser.
- GRS (Global Recycled Standard) – relevant, wenn Wolle recycelt ist. GRS kontrolliert Recycling-Content und soziale/ökologische Anforderungen der Verarbeitung.
- OEKO-TEX Standard 100 / MADE IN GREEN by OEKO-TEX – prüft auf Schadstoffe in Endprodukten. MADE IN GREEN liefert auch Rückverfolgbarkeit der Lieferkette. Wichtig, wenn du allergikerfreundliche oder schadstoffgeprüfte Textilien suchst.
- Woolmark – ein Qualitätszeichen, kein Nachhaltigkeitsstandard per se. Woolmark steht für reine Schurwolle und Qualitätskontrollen, aber nicht automatisch für Tierwohl oder Umweltstandards.
- EU Ecolabel – streng in Bezug auf Umweltkriterien der Produktion, aber selten speziell für Wolle verwendet. Kann ein zusätzliches Indiz für Ressourcenschonung sein.
Vergleichstabelle: Kriterien auf einen Blick
| Label | Tierwohl | Umwelt / Chemikalien | Soziale Kriterien | Rückverfolgbarkeit |
|---|---|---|---|---|
| RWS | Sehr gut | Mittel | Teilweise | Bis zum Wollpool |
| ZQ Merino | Sehr gut | Mittel | Gut | Gute Rückverfolgbarkeit |
| GOTS | Teilweise (wenn bio-zertifiziert) | Sehr gut | Sehr gut | Lieferkette bis Endprodukt |
| GRS | — (fokus recycelte Faser) | Gut (Verarbeitung) | Gut | Lieferkette ab Recyclingprozess |
| OEKO-TEX / MADE IN GREEN | — | Sehr gut | Gut (MADE IN GREEN) | MADE IN GREEN: rückverfolgbar |
| Woolmark | — | — | — | Fokus: Qualitätskontrolle |
Wie ich Zertifikate vergleiche – meine Checkliste
Wenn ich ein Produkt bewerte, arbeite ich die folgenden Fragen ab. Du kannst das genauso machen:
- Deckt das Siegel die gesamte Lieferkette ab oder nur einen Abschnitt (z. B. nur Farm oder nur Spinnerei)?
- Gibt es unabhängige Prüfungen und Audits? (Achte auf externe Auditoren wie Ecocert, Control Union oder ähnliches.)
- Wird Tierwohl konkret und messbar definiert? (z. B. Verbote von Mulesing, Mindestflächen, dokumentierte Gesundheitsvorsorge)
- Sind chemische Prozesse und Färbereien eingeschlossen? (GOTS/MADE IN GREEN sind hier stark)
- Wie transparent kommuniziert die Marke die Herkunft (Hofname, Land, Betriebsgröße)?
- Gibt es eine Claims-Policy oder Sanktionen bei Verstößen?
Praktische Tipps beim Einkauf
Aus eigener Erfahrung: Zertifikate sind nützlich, aber nicht alles. Hier ein paar konkrete Empfehlungen:
- Wenn Tierwohl dein Hauptanliegen ist: Suche nach RWS oder ZQ. Sie sind praxisnah auf Schafhaltung ausgelegt.
- Wenn du ein komplett schadstoffarmes Produkt willst: GOTS ist meistens die sicherste Wahl. GOTS-zertifizierte Wolle wird oft auch fair produziert.
- Recycelte Wolle? Dann ist GRS relevant – aber prüfe, wie viel Recyclat tatsächlich enthalten ist (Prozentsatz).
- Wenn eine Marke nur mit Logos wirbt, ohne Herkunftsnamen zu nennen, frage nach: Welcher Betrieb? Welche Prüfnummer? Seriöse Hersteller antworten transparent.
- Für Heimtextilien, die Hautkontakt haben (Decken, Kissen), lohnt sich oft OEKO-TEX / MADE IN GREEN wegen der Schadstoffkontrolle.
Was mich persönlich stört — Greenwashing und „Scheinlabels“
Ich habe zu oft erlebt, dass Labels als Marketinginstrument missbraucht werden. Typische Red Flags:
- Unklare Angaben: „Natürlich“ oder „nachhaltig“ ohne konkretes Zertifikat.
- Labels, die nur Verpackung oder Verpackungsmanagement betreffen, aber nichts über Haltung oder Verarbeitung aussagen.
- Kleine, firmeneigene Labels ohne unabhängige Audits.
Meine Faustregel: Wenn eine Marke ein Label zeigt, prüfe die Prüfnummer oder den Link zur Zertifizierungsseite. Wenn das nicht existiert oder auf Nachfrage nicht geliefert wird, vertraue dem Marketing nicht blind.
Beispiele aus der Praxis
Ich arbeite regelmäßig mit kleinen Manufakturen und kenne Produzenten, die GOTS- und RWS-zertifizierte Linien parallel anbieten. Das erlaubt ihnen, Rohwolle mit hohem Tierwohl-Standard und gleichzeitig textilökologische Verarbeitung anzubieten. Marken wie Arnsberg oder Schafschurwolle Manufaktur (fiktive Beispiele für kleine Manufakturen) nennen oft explizit die Höfe, von denen die Wolle stammt — das ist für mich ein gutes Zeichen.
Kurzcheck für die Praxis — so vergleichst du schnell vor dem Kauf
- Schaue zuerst nach GOTS (Für Schadstoff- und Sozialstandards) und RWS/ZQ (für Tierwohl).
- Ist MADE IN GREEN oder OEKO-TEX gelistet? Gut für Hautnähe/Allergiker.
- Gibt es eine Herstellernennung (Hof, Spinnerei)? Wenn ja: Pluspunkt.
- Ist die Auditnummer angegeben? Dann prüfe sie auf der Website des Zertifikats.
Wenn du willst, kann ich dir beim nächsten Einkauf helfen: Schick mir das Produktbild oder den Label-Hinweis, und ich analysiere das Siegel für dich – ob es substanzielle Anforderungen stellt oder nur ein Marketing-Stempel ist.