Als jemand, die jahrelang mit Schafen gearbeitet hat und Wolle jeden Tag in die Hand nimmt, erfahre ich bald, ob ich es mit Lammwolle oder mit Zuchtwolle zu tun habe — oft schon allein am Fühlen. In diesem Text erkläre ich dir, wie du anhand von Haptik, Feinstruktur und ein paar einfachen Tests Lammwolle von Zucht- oder Gebrauchswolle unterscheiden kannst. Ich schreibe aus der Praxis: von der Weide über die Schur bis in die Werkstatt.

Was meinen wir mit "Lammwolle" und "Zuchtwolle"?

Lammwolle bezeichnet die erste Schur eines Lamms (meist im Alter von wenigen Monaten). Sie ist in der Regel feiner, weicher und glänzender, weil die Haare noch jung und unbeansprucht sind. Zuchtwolle ist ein Sammelbegriff, den man für Wolle älterer Tiere oder für Wolle aus Zuchtlinien verwenden kann, oft gemeint als Wolle von ausgewachsenen Schafen, die für Zucht oder Produktion gehalten werden. Sie kann gröber, robuster und unterschiedlich strukturiert sein.

Haptische Merkmale: Was du mit den Händen fühlst

Die Haptik ist der schnellste und oft verlässlichste erste Eindruck. Ich lege immer mehrere Proben nebeneinander und vergleiche.

  • Weichheit: Lammwolle fühlt sich merklich weicher an. Wenn du die Fasern zwischen Daumen und Zeigefinger reibst, wirkt Lammwolle fast samtig. Zuchtwolle ist oft etwas rauer.
  • Federndkeit und Elastizität: Lammwolle ist elastischer: drückst du eine Strähne zusammen, springt sie leichter zurück. Ältere Wolle kann flacher wirken.
  • Dichte: Lammwolle kann feiner und dichter in der Struktur sein, das Gewebe wirkt geschlossener. Zuchtwolle zeigt öfter einzelne, hervorstehende grobe Haare.
  • Kratzen: Wenn die Wolle am Hals getestet wird (vorsichtig), kratzt Zuchtwolle häufiger, Lammwolle fühlt sich angenehmer auf der Haut an.

Feinstruktur unter der Lupe oder im Mikroskop

Für genauere Unterscheidungen lohnt sich der Blick unter dem Mikroskop. Ich arbeite in Workshops oft mit einer einfachen Digitalkamera-Mikroskop-Kombination (ab 40–100× ist schon viel erkennbar).

  • Schuppenstruktur (Cuticula): Unter Vergrößerung sind Schuppen auf den Haaren sichtbar. Bei Lammwolle sind die Schuppen regelmäßig, fein und weniger ausgeprägt. Bei Zuchtwolle können die Schuppen größer und ausgeprägter erscheinen.
  • Faserdicke (Mikrometer): Lammwolle hat niedrigere Mikrometer-Werte (bei Schafrassen je nach Typ unterschiedlich, z.B. Merino-Lammwolle oft unter 20 µm). Zuchtwolle kann deutlich über 25 µm liegen. Wenn du Zugang zu einer Faseranalyse hast, ist das eine präzise Methode.
  • Faserquerschnitt: Manche Instrumente erlauben eine Einschätzung des Querschnitts. Jüngere Fasern sind oft runder und homogener.

Geruchs- und Aussehenstests

Neben Haptik und Mikroskop gebe ich noch ein paar einfache Prüfungen:

  • Glanz: Frische Lammwolle hat oft einen subtilen, seidigen Glanz. Gebrauchswolle kann matter sein.
  • Optische Gleichmäßigkeit: Lammwolle ist homogener in Farbe und Struktur; Zuchtwolle kann mehr Variationen, Pigmentflecken oder gebrochene Fasern aufweisen.
  • Geruch: Frisch geschorene Wolle riecht nach lanolinigem, angenehmem Fett; ältere, gewaschene Wolle kann neutraler riechen. Krasser Geruch kann auf unsaubere Lagerung oder Vermischung hinweisen.

Einfache Tests zuhause

Du brauchst kein Labor, um sinnvolle Hinweise zu bekommen. Hier meine Lieblings-Tests, die jede:r durchführen kann:

  • Der Knicktest: Nimm eine Faser und knicke sie zwischen den Fingern. Feine Lammfasern knicken leichter und brechen weniger — sie zeigen Elastizität. Grobe oder ältere Fasern brechen eher.
  • Das Brennprobe (vorsichtig): Eine sehr kleine Menge (z. B. ein Faserende) verbrennen. Wolle riecht nach verbranntem Haar und hinterlässt eine spröde, kugelige Asche. Synthetische Beimischungen riechen anders. Dieser Test sagt nichts direkt über Lamm- vs. Zuchtwolle, aber er hilft, Verunreinigungen zu erkennen.
  • Das Waschgefühl: Wenn du ein kleines Stück wäschst: Lammwolle bleibt oft weicher und kompakter; grobe Wolle kann beim Waschen filzen oder aufrauen.

Typische Verwechslungen und Fallstricke

Es gibt Fallen, auf die ich immer hinweise:

  • Markenmarketing: Begriffe wie "lambswool" werden manchmal nicht streng verwendet. Eine probabilistische Angabe vom Händler hilft: Fragen, von welchem Alter und welcher Schafrasse die Wolle stammt.
  • Mischungen: Viele Garne sind Mischungen (z. B. 60 % Merino-Lammwolle, 40 % synthetisch). Haptik kann dadurch verändert sein.
  • Behandelte Wolle: Superwash oder chemisch behandelte Wolle verliert oft die ursprüngliche Haptik; auch Lammwolle fühlt sich dann anders an.

Praktische Hinweise beim Einkauf

Wenn du Wolle kaufst, sei neugierig und frag nach:

  • Herkunft: Von welchem Betrieb kommt die Wolle? Ist die Schur die erste Schur (lambswool) oder eine der folgenden?
  • Rasseangabe: Merino-Lammwolle hat andere Werte als Romney oder Shetland. Rasse sagt viel über Feinheit aus.
  • Zertifikate und Transparenz: Sieh dir Angaben zu Haltung, Verarbeitung und Superwash-Behandlung an. Labels wie GOTS oder RWS (Responsible Wool Standard) geben zusätzliche Sicherheit über Haltung und Supply-Chain-Praktiken.

Vergleichstabelle: typische Merkmale

Lammwolle Zucht-/Gebrauchswolle
Weichheit Sehr weich, samtig Eher rauer, manchmal kratzig
Faserdicke (µm) Typisch niedriger (z. B. <20–24 µm bei Merino) Höher, variabel (25–40+ µm je nach Rasse)
Elastizität Hoher Rückstellwert Geringer
Gebrauch Feine Bekleidung, empfindliche Haut Robuste Textilien, Teppiche, Füllungen

Marken und Produkte — was ich empfehle

In meiner Arbeit habe ich gute Erfahrungen mit transparenten Herstellern gemacht, die Herkunft und Schurjahr angeben. Marken wie Jamieson & Smith (Shetland), Pascuali oder The Fibre Co. geben oft gute Produktbeschreibungen. Für deutsche Produkte sind Werkstätten wie "Wollzeit" oder kleine Manufakturen regelmäßig sehr offen über Lammwolle vs. Schaftwolle.

Persönlicher Tipp aus der Praxis

Wenn möglich, kaufe direkt beim Schäfer oder auf regionalen Märkten. Dort kannst du die Wolle sehen, riechen und anfassen — und oft erfährst du genau, ob es sich um die erste Schur handelt. Ich habe selbst bei mehreren Schafbetrieben Proben genommen und beobachtet: Wer offen über Alter der Tiere, Schurzeit und Rasse spricht, liefert die verlässlichsten Angaben.

Wenn du möchtest, kannst du mir Fotos oder Detailaufnahmen deiner Wolle schicken — ich schaue sie mir gern an und gebe dir eine Einschätzung dazu. Der Unterschied lässt sich nicht immer hundertprozentig per Ferndiagnose klären, aber mit den beschriebenen Tests kommst du sehr nah an eine verlässliche Bestimmung.